
Hau den Lukas (2006)
Was wäre die Wiesn ohne „Hau den Lukas“? Nichts! Es weiß zwar niemand wer der Lukas wirklich war und warum er gehauen werden soll, aber es macht immer wieder Spaß, dabei zuzuschauen, wie die starken Männer sich abmühen. Selbst die Betreiber der „Hau den Lukas“-Stangerl auf der Wiesn kennen deren Ursprung nicht. Irgendwann im Mittelalter sei das erfunden worden, so raunt man. „Wos g’wies woas ma net“, sagt ein Lukas Besitzer, „den gibt’s scho lang, sehr lang“. Die Gaudi am „Hau den Lukas“ ist jedenfalls zeitlos und hat schon unsere Urahnen erfreut. Wenn sich einer zum Deppen macht, ist das immer ein Heidenspaß für die anderen. Und da Schadenfreude eigentlich unchristlich ist, nennt man es dann einen Heiden-Spaß – auch gut! Hauptsache es ist lustig. Die senkrechten Stangen des „Hau den Lukas“ sind im Vergleich zu den modernen Fahrgeschäften niedrig und unscheinbar, aber die Gaudi ist größer und kostet vergleichsweise wenig – für die Zuschauer garnichts. Der „Hau den Lukas“ ist eine Vorrichtung zur männlichen Kraftdemonstration, eine sehr wichtige und archaische Angelegenheit. Speziell nach Schankschluss in den Zelten reizt es viele Männer, ihre Kraft und Geschlicklichkeit trotz mehrerer Maß Bier unter Beweis zu stellen. Die Art der Kraftübung ist ganz einfach auf die physikalische Formel zu bringen: Arbeit = Kraft x Weg. Es muss mit einem Hammer mit so viel Kraft auf den „Lukas“, einen aus einem Kasten hervorstehenden Pfropfen gehauen werden, dass ein Metallgleiter entlang einer Metallschiene nach oben geschleudert wird. Erreicht er den höchsten Punkt, wird ein eingebautes Knallplättchen auslöst – das ist alles. Allerdings ist der Hammer selbst oft schon das Problem, denn er ist schwer, sehr schwer sogar, 10kg, 12kg, 14kg – in der Kategorie. Die schwächeren und durch das Bier unkoodinierten Zecher, scheitern schon am Hammer und bringen nicht einmal diesen vom Fleck. Sie stolpern darüber, lassen ihn fallen oder gehen damit in die Knie. Manche lassen den Hammer rücklings über die Schulter kippen und knicken dann unter dem Gewicht ein. Man sieht als Zuschauer sehr ungewöhnliche Bewegungen, die Mann mit einem 12kg Hammer ausführen kann. Hat einer den Hammer im Griff, so muss er als nächstes den senkrecht aus einem Holzkasten hervorstehenden Stempel treffen. Dieser wird auch Pfropfen, Stößel oder „Lukas“ genannt – das ist er! Doch auch diese Aktion gelingt nicht immer. Oft geht der Schlag mit lautem Knall daneben, auf den Kasten oder ganz ins Leere auf den Boden. Manche Hammerschläger gehen durch ihren Schwung in den leeren Raum zwangsweise in die Knie. Der Schlag der den „Lukas“ dann endlich trifft, muss kräftig aber gut geführt sein. Wildes, wahlloses Herumschlagen führt nicht zum Ziel, wie man oft genug beobachten kann. Der Schlag auf den „Lukas“ bewegt eine im Kasten befindliche Wippe, die den beweglichen „Reiter“ an der senkrechten Schiene entlang nach oben schießen lässt. Dieser bewegliche „Reiter“, der oben den Knall auslöst, heißt auch der „Frosch“. Also, „Lukas“, „Frosch“, „Knall“ – eigentlich einfach.
Ein Vergnügen hauptsächlich für Männer, denn die wollen ja zeigen was sie drauf haben. Vor allem dann wenn die Motorik durch das Wiesnbier schon etwas beeinträchtigt ist. Es geht hierbei um das Handicap-Prinzip, wie im Tierreich. Je erschwerender die körperlichen Umstände umso mehr kann das Männchen nach einer erfolgreichen Aktion bei den Weibchen glänzen. Zur Verdeutlichung: Ein Pfau demonstriert seinen tollen, bunten, eigentlich hinderlichen Schwanz nur, um zu zeigen, dass ihn seine ausladende Federpracht nicht hindert vor Feinden zu fliehen. Denn er kann es sich leisten! Er ist ein überlegener Überlebender – ein „Surviver“! Auf das Oktoberfest übertragen heißt das: Desto mehr Bier ein Mann intus hat, desto unkoordinierter müsste er eigentlich am „Hau den Lukas“ sein. Ist er trotz hohem Bierkonsum erfolgreich, ist er ein „Surviver“. Dies lässt auf gutes Genmaterial schließen, was wiederum für die Damen bei der Partnerwahl wichtig ist, unbewusst natürlich! Also: Anzahl der Wiesnmaßen + Erfolg am Lukas = Alphamännchen-Status. Im Publikum ist man jeden Abend von Neuem gespannt, wer sich als Alphamännchen oder Platzhirsch auszeichnet. Jeder Mann am „Lukas“ hat drei Versuche und muss es dreimal knallen lassen. Knallt es nicht, geht ein bedauerndes Stöhnen durch die Zuschauermenge, knallt es dreimal, gibt es lauten Jubel. Die Trophäe, eine Plastikrose oder ein Schlüsselanhänger sind nicht wirklich wichtig, es geht um den Kraftbeweis.
Es gibt verschiedene „Hau den Lukas“ auf der Wiesn, der originellste steht vor dem großen Riesenrad. Die Aufmachung dieses „Lukas“ ist eindeutig, denn die lange Stange ist ganz oben gekrönt von einer männlichen Holzfigur. Diese trägt eine bayerische Tracht und Lederhose und hat die Beine weit gespreizt. Genau hinter dem Hosentürl befindet sich das Ende der Stange. Dieses Ziel muss der „Frosch“ mit dem Knallplättchen erreichen. Sitzt der Schlag richtig und ist der „Frosch“ in der Hose, knallt es genau hinter dem Hosentürl! Leider klappt das Hosentürl beim Knall des Plättchens nicht auf, was schade ist. Ein „Vogerl“ sollte herauskommen, erzählte mir der Besitzer des „Lukas“, was sehr orignell gewesen wäre, aber technisch zu aufwendig. Also gibt es nur einen „Knall“ in der Lederhose.
Auf dem Weg zur Spitze gibt es eine Skala, die den Lukas-Schläger darauf hinweist, wie weit er schon gekommen ist und wie seine „männliche“ Kraft einzuschätzen ist. In Anspielung auf das in Bayern früher übliche „Fensterln“ sind vier bayerische Häuser und vier Frauennamen abgebildet und jeweils ein passender Kommentar dazu. Von unten nach oben: Burgel “do geht nix“, Marie „do schaugs’t“, Fanny „glei ham ‘mas“, Resi „I kimm scho“. Ganz oben an der Spitze, trägt die männliche Figur mit der Lederhose und den gespreitzten Beinen ein Schild in der Hand mit der Aufschrift: „Zenzi, ich bin der Größte“.
Eines Abends auf der Wiesn nach Schankschluss stand eine größere Anzahl Zuschauer um einen beliebten „Hau den Lukas“. Viele stark angeheiterte Männer wollten ihre Kraft beweisen, große, kleine, dicke, dünne, schmächtige, athletische, Preußen, Trachtler usw. Die gebotene Bauch- und Muskelmasse und die Körpergröße eines Lukasschlägers sagen allerdings nichts über den zu erwartenden Erfolg aus. Oft erreichen die kleinen, drahtigen Burschen mit Technik mehr, als die „g’stand‘nen Männer“ mit roher Kraft. Oft sind der Rausch und der Bauch im Weg, manchmal auch die Füß’ oder die grauen Seppelhüte. Rohe Gewalt, sinnlose Kraftvergeudung, ungezieltes herumhämmern, nervöse Unentschlossenheit, kraftvolles Danebenschlagen, elegante Technik, einhändiges Schlagen, rhythmische Wiederholungen – alles ist zu beobachten. An jenem Abend erschien ein großer, gut gebauter Mann, Mitte 30, in Trachtenjanker und Lederhosen – ein Einheimischer. Er überragte alle anderen Lukas-Jünger, welche schon viele Schläge danebengesetzt hatten. Während alle anderen eine Runde zu 3 Schlägen absolvierten, bestellte er seelenruhig 7 Runden, zusammen 21 Schläge. Ein Raunen ging durch die Zuschauermenge als der Bayer den Hammer ansetzte. Recht entspannt und locker und schlug er ohne Pause 21-mal in gleichmäßigem Rhythmus zu. 17-mal erreichte der „Frosch“ laut krachend sein Ziel in der hölzernen Lederhose. Die Menge brach in Applaus, Jubel und anerkennende Pfiffe aus. Es war klar, wer der stärkste Mann am Platz war. Eine junge Münchnerin im Publikum, die schon etwas angeheitert war, rief spontan: „Den nehm’ i!“ Sie war vom Platzhirschen vollkommen begeistert, denn er hat die Handicap-Prüfung bestanden. Erfolgreiche Lukasschläge unter Wiesnbierdröhnung = männlicher Potenzbeweis, daraus folgt weibliche Begeisterung. Mit einem Strauß Plastikrosen winkend verließ der Lukas-Held den Schauplatz. Ob er die begeisterte junge Dame mitgenommen hat, ist nicht bekannt. „Hier kann a jeder beweis’n, ob er sei Ding hochkrieagt!“, bemerkte ein Zuschauer grinsend, „am Lukas siegt mers dann!“