
Auf dem Teufelsrad (2019)
Das Teufelsrad ist eines der zahlreichen historischen Fahrgeschäfte auf dem Oktoberfest und wurde 1910 das erste Mal auf der Wiesn aufgebaut. In seiner Einfachheit ist es bestechend: Eine sich horizontal drehende, riesige Holzscheibe, die im Lauf der Fahrt immer mehr beschleunigt und von der freiwillig und mit großer Gaudi agierende Personen durch Fliehkraft heruntergeschleudert und jubelnd, ächzend oder fluchend, je nachdem, an die Bande aus Strohballen geworfen werden. In der Art der Belustigung lebt das Teufelsrad von der Schadenfreude der Zuschauer, welche auf die vom drehenden Rad fliegenden Akteure lachend, buhend, schreiend oder laut applaudierend reagieren. Je skurriler der Sturz vom Rad, umso lustiger, je verknoteter der Haufen Leiber in Dirndl und Lederhosen, der gegen die Bande fliegt, desto lauter der Jubel und das Gelächter.
Man kann sich vorstellen, dass diese Art der Belustigung uralt sein mag und schon im Mittelalter oder schon seit der Erfindung des Rades ein Publikum unterhalten haben mag. Damals, mag man sich vorstellen, war es wohl eher eine kleinere Scheibe, von Manneskraft angetrieben, die zum Einsatz kam. Menschen die mit den Tücken der Flieh- und Schwerkräfte kämpfen, sind wohl immer eine Belustigung gewesen, ob auf drehenden Rädern, in rotierenden Tonnen oder auf wackeligen Balken, denn wenn Arme und Beine ihren Halt verlieren und der mutige Akteur durch die Gegend fliegt, amüsiert sich das Publikum, ob des Missgeschicks und des Kontrollverlusts oder der eleganten oder unsanften Landung auf dem Boden. Doch wie gesagt, für die Wiesn ist 1910 als das Geburtsjahr von Feldl’s Teufelsrad belegt. Das besondere Amusement beim Teufelsrad auf der Wiesn entsteht aber nicht nur durch die Schadenfreude beim Anblick, der wild durcheinander vom Rad fliegenden Wiesngäste, sondern auch durch die Kommentare des Ansagers, der frech und bisweilen grenzwertig persönlich, süffisant oder kabarettistisch das bizarre Geschehen auf dem Teufelsrad kommentiert und für jede Runde die passende Musik parat hat.
Zu Beginn einer Runde türmen sich meist große Haufen von Männern und Frauen in der Mitte der großen Holzscheibe, die als Teufelsrad bekannt ist. Jeder will dabei sein und es geht wild durcheinander. Ist dann der größere Teil des Haufens von Teilnehmern durch die zunehmende Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe und die damit zusammenhängenden Flieh- und Schwerkräfte in Richtung der Bande entsorgt, wird den auf dem Teufelsrad verbliebenen zunächst Applaus und Jubel zuteilt und danach wird ihnen die Lage erschwert. Von drei Helfern am Rad, werden diverse Hilfsmittel eingesetzt um die letzten dort verbliebenen Gäste vom Rad zu ziehen. Ein riesiger Stoffball, der aussieht wie ein großer rot-grüner Stoffkürbis, vom Zeltdach abgeseilt. Wenn sich nur noch wenige Frauen und Männer auf dem Teufelsrad befinden, schwingt der Stoffkürbis wie ein Pendel an einer Schnur hin und her, um die in der Mitte des Rades „sich festkrallenden“ Personen, mit Schwung zu bugsieren und aus dem Gleichgewicht zu bringen. Oft trifft der dicke rot-grüne Kürbis hart auf Köpfe und Rücken und ein Raunen geht durch die Menge. Oft wird er abgewehrt und kehrt doch an seinem Seil schwingend zurück, um das Grüppchen in der Mitte noch mehrmals heftig zu treffen. Einzelne Teilnehmer verlieren den Halt und fliegen Richtung Bande davon.
Sind die Fahrgäste auf dem Teufelsrad standhaft und wehren der dicken Stoffkürbis lange genug ab, kommen zuletzt die Seile zum Einsatz, die von den Helfern geworfen oder flach über die Oberfläche des sich drehenden Rades gezogen werden, um die letzten Kämpfer „abzuräumen“. Auch dem Seil widerstehen viele geschickte junge Frauen und Männer indem sie sich wenden und winden und sich liegend über das Seil hinweglupfen. Aber irgendwann fliegen auch die letzten Kandidaten vom Teufelsrad und ein Sieger oder eine Siegerin bleibt in der sich drehenden Mitte übrig. Dann gehört ihm oder ihr der donnernde Applaus und der Jubel des Publikums, bevor auch er oder sie mit Hilfe des riesigen Stoffkürbis oder der Seile vom Teufelsrad entfernt wird.
Abends gibt es auch spezielle Runden nur für Frauen oder nur für Männer und auch „gemischte Runden für Männern und Frauen“ und am Nachmittag Runden nur für Kinder. Als Spezialfall gibt es Runden bei denen zwei Kandidaten auf dem laufenden Rad mit riesigen Boxhandschuhen miteinander boxen sollen, bis einer das Gleichgewicht verliert und vom Rad fällt und Runden bei denen ein Hawaiitanz mit Hulahoop Reifen auf dem drehenden Rad aufgeführt wird.
Neu in den letzten Jahren sind spezielle Runden bei denen, auch wegen des großen Andrangs, nur bestimmte Teile des Publikums auf das Rad gelassen werden, zum Beispiel: Männer mit kurzen Lederhosen, Männer mit langen Lederhosen (was jedes Mal zu Verwirrung führt, weil es nur wenig wirklich lange Lederhosen auf der Wiesn gibt) und dazu hört man dann amüsierten Kommentare des Ansagers wie: „Schaugst Euch de Preißn o, kumma auf’d Wiesn und könna a kurze net von a langen Lederhosn unterscheidn! Schleicht’s eich, alle mit aner kurzn Hosn runter vom Rad! Lange Lederhosn hob I s’gogt!“ Danach folgen „Männer in Bundhosen“ (wieder Verwirrung, was mit Bundhose gemeint sein könnte). Männer in Jeans gehen auf das Rad, das sind keine Bundhosen, sollte man meinen, aber unter Alkoholeinfluss wirs die Selbsteinschätzung getrübt und so kommt es vor, dass die drei Ordner immer wieder Männer in unpassenden Beinkleidern vom Rad holen müssen, bevor die Fahrt endlich beginnen kann. Der Ansager ist dabei relativ streng und lässt nichts durchgehen! Bei größerer Verwirrung seitens der Akteure, welche Hose jetzt dran ist, lässt der Ansager sogar das ganze Rad räumen und beginnt nochmals von vorne. Etwa mit: Nur Männer mit rosa Hemden (aber auch da gibt es manchmal Unklarheiten, wo rosa aufhört und rot anfängt). Dann kommen vom Ansager Kommentare wie: „Schaug der den o! Der kann koa rosa mehr von rot unterscheiden! So blau is der!“ Oder:
„Die die blau san kommen später dran!“ Dann kommen Männer mit blauen Hemden, mit weißen Hemden, Männer in Stoffhosen, Frauen im Dirndl, Frauen ohne Dirndl (was nicht heißen soll unbekleidet, aber in einer anderen Art von G’wand). Und auch da kommen die Kommentare über Lautsprecher falls sich ein Fräulein im falschen Kleid auf das Rad verirrt hat: „Woasst du net wia a Dirndl ausschaugt? Ja, dich moan i! Genau di! Etz warts’d no a bisserl, dann kumma die nomalen Kleidln wieder dro!“
Spezialrunden für das vermehrt internationale Publikum im Teufelsrad, gab es zum Beispiel 2019 mit den Ansagen: „Nur Türken die boarisch reden und Schweinsbraten essen“ (es kamen bei dieser Ansage tatsächlich fünf Mann auf das Rad), „und wir spielen dazu das alte türkische Volkslied … ein orientalisch angehauchter Hit kam aus den Lautsprechern, dessen Titel ich leider vergessen habe. „Ahab the Arab“ vielleicht? Die nächste Runde forderte: „Nur Kandier“ (es kamen immerhin zehn Personen auf das Rad) „und wir spielen dazu das alte kanadische Volkslied … (auch da habe ich leider vergessen wie das hieß, oder war es „Country Roads“? – was bei dem zunächst langsam anlaufenden Rad immer gut passt. Und war es dann am Ende der Fahrt „High way to Hell“? – passend zum Teufelsrad?) Danach kam die Aufforderung: „Nur Gäste aus Afrika … und dazu spielen wir das alte afrikanische Volkslied …“ Und schon dröhnte Michael Jackson aus den Lautsprechern: „If you wanna be my Baby it don’t matter if you’re black or white.“ Das Publikum tobte und eine gewichtige junge Dame aus Afrika im Dirndl gewann nach Überwindung von groben Stoffkürbisattacken und zahlreichen Seilwürfen die Runde. Dann gab es noch eine Runde „nur Frauen“ und dazu das Lied „Surfin’ USA“ mit ein bisschen California und Beach Feeling. Und zuletzt die Runde „alle über 50“, ich erinnere mich an acht Frauen und Männer die zu „Summer of 69“ gegen die Fliehkraft, den Stoffkürbis und mehrere Seile ankämpften. Gewonnen hat, passend zum Song und zum 69er Thema, ein Mann in Jeans, T-Shirt und Lederjacke. Und zuletzt: „Jetzt noch eine allerletzte Runde für alle in Lederjacken …“, dem Ansager im Teufelsrad fallen immer wieder neue Ideen ein, wie er das Publikum amüsieren und unterhalten kann, aber um 11 Uhr oder 12 Uhr nachts ist dann Schluss und das Rad bleibt stehen. Die Schadenfreude über die chaotischen Stürze und Purzelbäume der anderen auf dem drehenden Rad ist noch immer einer größten Lacher auf der Wiesn. Und morgen dann wieder: „Alle in Lederhosn“!